Bild

Die wahre Ostergeschichte

Legatis: Ach wie schnell läßt man sich doch treiben vom Strudel der Empfindungen, der einen ergreift, wenn man von einem unserer schönsten Familienfeste erzählen hört. Unser eigentliches Anliegen, von den Problemen der Tierwelt zu berichten, gerät doch allzusehr ins Hintertreffen. Nun sei's drum. So will auch ich eine Geschichte beisteuern, die mir beim zuhören in den Sinn kam. Es ist: "Die wahre Ostergeschichte".
[Papiergeraschel]
Vor langer, langer Zeit lebte einmal ein...
Tierfreund: Ich hab's, ich kenn' die Geschichte. Ein finstrerer Graf in einem tiefen Wald und sein größtes Plessier war die Jagd auf den Hasen während der Schonzeit im Frühjahr. Hehe. Aber wie fanden die Hasen das, denn das weiß ich nicht mehr.
Legatis: Das fuchste die Hasen gehörig...
Tierfreund: Ach so, jaja.
Legatis: ... und sie überlegten, wie man diesem Treiben Einhalt gebieten könnte. Rick van Western und Jan van Ostern, zwei starke flämische Rammler, die vor den schießwütigen Spaniern aus den Niederlanden geflohen waren, heckten einen Plan aus. Als der Winter vorüber war und die erste warme Somme die Natur erwachen ließ, rüstete sich auf der Burg eine waffenklirrende Gesellschaft zur ersten Frühlingsjagd auf den Hasen. An vorderster Front stand der finstere Graf und freute sich auf die gnadenlose Hetze. Unterdessen hatten Rick van Western und Jan van Ostern ihre Falle vorbereitet. Und als der Hörnerklang das näherrücken der Jägersleute ankündigte, trennten sich die beiden Rammler und liefen der Jagdgesellschaft entgegen. Während die Meute sofort die Witterung von van Western aufnahm und davonstob, duckte sich der andere Rammler tief in seine Sasse und wartete bis der Graf in seine Nähe kam. Erst jetzt sprang er auf und lief hakenschlagend davon. Der Graf nahm die Herausforderung an und galoppierte hinter dem Hasen her auf das kleine Buchenwäldchen zu. Hier hatten in der vergangenen Nacht hunderte von Hasen eine tiefe Fallgrube ausgehoben und mit altem Gerät vollgepackt. In kühnem Satz hechtete van Ostern über die Falle und sah noch aus den Augenwinkeln, wie das Pferd mitsamt dem Grafen in die Grube hinabfuhr. Zufrieden mit dem Gelingen seines Planes trollte sich van Ostern zu seinen Artgenossen und widmete den Rest des Tages der langohrigen Damenwelt. Der Graf jedoch hatte sich nicht das Genick gebrochen. Nur eine rostige Harke war ihm ins Gemächte gefahren. Stunden später erst vernahmen seine Jagdgesellen die spitzen Schreie aus dem Forst und schafften den ramponierten Grafen zurück auf seine Burg. Niemand dort durfte vom Mißgeschick des Herrn erfahren, doch auf verschlungenen Wegen drang die Kunde von der Hasenfalle zum Gesinde. "Ostern war's", flüsterte die Zofe dem Knecht in's Ohr und in Erinnerung an diesen Tag gingen jedes Jahr im Frühjahr die Knechte von der Burg in die Natur und suchten die verlorene Männlichkeit ihres Herrn. "Es ist Ostern", flüsterten sie dann hinter vorgehaltener Hand. Die Mägde machten sich einen Spaß daraus, überall im Park Nester mit Eiern zu verstecken. Auch als der wahre Grund für dieses Treiben schon längst vergessen war, wie der Graf, der nie wieder den Häschen nachstellte, blieb die Sitte des Eiersuchens im Frühjahr doch erhalten. und noch heute sagen die Leute dann: "Es ist Ostern". Doch wohl niemand denkt dabei noch an den tapferen Rammler, der vor langer Zeit einem Menschen zeigte, was eine Harke ist.
Tierfreund: Das war aber eine sehr schöne Geschichte, Frau Legatis.